Gespräch mit dem Handwerk zur Wohnungssituation in Siegen-Wittgenstein

15.02.2017

Mit Blick auf die ebenso schwierige wie auch örtlich völlig unterschiedliche Wohnungsmarktsituation in Siegen-Wittgenstein trafen sich Mitglieder der CDU-Kreistagsfraktion mit der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd im Siegener Haus des Handwerks. Kreishandwerksmeister Frank Clemens und seine Kollegen vom Vorstand der Bau-Innung Rainer Schneider und Michael Bär sowie Geschäftsführer Jürgen Haßler standen als Gesprächspartner zur Verfügung.
„Wohnungen, welche in Größe, Ausstattung und Preis zu Senioren, Familien, Studenten, zu alt oder jung passen und am nachgefragten Standort vorhanden sind, sagen viel über die Zukunftsfähigkeit von Regionen und Kommunen“, beschreibt CDU-Fraktionsvorsitzender Bernd Brandemann die Herausforderung. Bei dem Kontakt mit den Bauexperten vor Ort ging es um die Praxiserfahrung, wo es womöglich Hemmnisse gibt, was verbessert werden könnte.
„Bauen ist in den letzten 15 Jahren um gut 40 Prozent teurer geworden“, zieht Frank Clemens Bilanz. Das Mehr an Qualität für die Gebäude habe so seinen Preis gefordert, gerade die gesetzlich geforderten energetischen Maßnahmen sorgten für den stetigen Aufwuchs. Das führe letztlich dazu, dass realistischer Weise Sozialwohnungen so gut wie nicht mehr durch Privatinvestoren errichtet würden.
Jüngst hatte die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer ausgeführt, die fortschreitende Verschärfung der Energiesparvorgaben bremse den Bau bezahlbarer Wohnungen regelrecht aus.
Im Kreis Siegen-Wittgenstein gibt es rund 5.000 Sozialwohnungen. „Es müsse aber deutlich mehr „bezahlbaren Wohnraum“ geben“, unterstreicht Sozialausschuss-Vorsitzende Gabriele Stinner (CDU). „Die passende Wohnung bedeutet viel für die persönliche Zufriedenheit, hat aber längst wieder auch eine politische Dimension bekommen.“ Seitens einer Modellrechnung des Landes war von einem zusätzlichen Bedarf von bis zu 4.000 Wohneinheiten in Siegen-Wittgenstein ausgegangen worden. Zwar sind 2015 im Kreisgebiet Baugenehmigungen für etwa 560 Wohnungen ausgesprochen worden, Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau wurden 2014 wie 2015 allerdings in Siegen-Wittgenstein nicht investiert.
„Die Wohnbedarf-Zahlen aus Siegen zeigen“, so Fraktions-Vize Bernd-Dieter Ferger,“ dass ein großes Augenmerk auf den barrierefreien Umbau vorhandener Wohngebäude gelegt werden muss.“ Für die Krönchen-Stadt weist die Prognose bis 2030 einen Bedarf von rund 1.700 altersgerechten Wohneinheiten aus. Davon seien etwa 800 durch Umbau zu erreichen, 400 müssten in Neubauten entstehen.
„Wir merken, dass die breite Information über Zuschüsse zum barrierefreien Ausbau noch nicht vorhanden ist“,  schildert Michael Bär seinen Eindruck. Bedenklich findet er auch, dass die Überlegungen für eine Wohnungsanpassung etwa wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit oft kurzfristig und zu spät erfolgten. Die gute Beratungs-Zusammenarbeit, beispielsweise mit dem Energieverein Siegen-Wittgenstein, unterstreicht Jürgen Haßler. Die breite generelle Information könne nur im Verbund vieler Akteure eine nachhaltige Wirkung zeigen. Daneben stehe die individuelle Beratung durch die Handwerker bei der einzelnen Wohnung, die zum Umbau anstehe. „Öffentliche Förderung darf nicht durch Bürokratie abschrecken“, fordern die Baupraktiker. Bemerkenswert sei, dass Wohnungen leer stünden, weil Konflikte bei den Eigentümern durch eine Vermietung befürchtet werden.
„Viele in den 1970er Jahren erbaute Häuser stehen zudem auf eigentlich zu großen Grundstücken“, so Hermann-Josef Droege. Er sehe hier Diskussionsbedarf, wie im Innenbereich vitaler Kommunen eine Verdichtung auf solchen außerordentlich großzügig bemessenen Grundstücken für eine Hinterlieger-Bebauung oder für ein Reihenhaus-Modell  erreicht werden könne. „Oft ist heute eine Grundsanierung eines 40 Jahre alten Hauses notwendig“, bestätigten die Vertreter der Kreishandwerkerschaft. Vielfach werde diese von „Einzelbewohnern“ aus finanziellen Gründen herausgeschoben. „Dann kollidieren Verkaufspreis-Erwartungen an spätere Nutzer, die ja auch noch die gesamte Renovierung auf den neuesten technischen Stand zu schultern hätten“, so die Erfahrung.
„Die Entwicklung einer passgenauen familienorientierten Förderung für Umbau, Erneuerung und Nachnutzung vorhandener älterer Wohngebäude könnte ein wirksamer Beitrag zur Wohnraumbeschaffung wie zur Belebung gewachsener Ortskerne darstellen,“ regte Droege an.
„An vielen Stellen besteht Handlungsbedarf“,  fasste Bernd Brandemann zusammen. „Wir haben noch einmal gehört, wie wichtig eine Grundinfrastruktur gerade im ländlichen Bereich ist, damit Leerstände und damit ein Abwärtstrend für Orte verhindert werden.“ Mehr Flexibilität im Innenbereich sei zu untersuchen, denn mit Rücksicht auf die Umwelt könnten nicht auf immer mehr Grünland im Außenbereich zurückgegriffen werden. Martin Achatzi, CDU-Sprecher im Kreis-Wirtschaftsausschuss, lenkte die Blickrichtung nochmals Richtung Bürokratie: „Es muss zu denken geben, dass es im Jahr 1999 etwa 5.000 Normen in der Bauwirtschaft zu beachten galt, sie bis 2016 auf mehr als 20.000 Normen angewachsen sind“. Energie-Einsparung und Baukosten dürften nicht in einem krassen Missverhältnis stehen. Bedeutsam für Gabriele Stinner ist, dass die vorhandenen Fördermittel für einen barrierefreien Umbau auch tatsächlich mehr genutzt werden.
Dass Handwerker engagierte Partner sind, um in die Jahre gekommenen Gebäude wieder auf den neuesten Stand zu bringen, unterstreicht Frank Clemens: „Bestands-Immobilien tragen häufig zur Identifikation in den Ortszentren bei, haben oft Vorteile bei der Infrastruktur und stellen einfach eine nachhaltige Wohnform dar.“